Erzählform und Erzählperspektive

Hände an Schreibmaschine

© Pixabay, Glenn Carstens-Peters | typewriter-g30af5d3bc_1920

Ein*e Autor*in schreibt eine Geschichte. Ist er*sie damit nicht automatisch der Erzähler¹? Die Antwort lautet: Nein. Erzähler und Autor*in sind nicht automatisch identisch. Stattdessen schafft der*die Autor*in mit jedem erzählten Text eine fiktive Instanz, die das Geschehen vermittelt. Alles dazu – und was der Unterschied zwischen Erzählform und Erzählperspektive ist – erklären wir hier.

Die Erzählposition: stark oder geschwächt?

Der Erzähler ist eine Figur für sich, die unterschiedlich in der Literatur auftreten kann. Wie jede andere Figur, weist sie eigene charakteristische Merkmale auf.

Der Erzähler kann Teil der erzählten Welt sein – muss es aber nicht. Er kann sich schüchtern zurückhalten oder selbstbewusst in den Vordergrund drängen. Bei letzterem spricht man von einem deutlich erkennbaren Erzähler, der seine Meinung zu den Figuren offen äußert oder sich direkt an die Leser*innen wendet. Hält sich der Erzähler zurück, bezieht er eine geschwächte Erzählerposition. Er versteckt sich hinter den verschiedenen Figuren, über die er berichtet, und lässt sie sprechen – ohne zu kommentieren.

Die Erzählform: er oder ich?

Der Ich-Erzähler ist Teil der erzählten Wirklichkeit. Er handelt als Figur, erlebt die Geschichte mit und erzählt sie aus seiner Perspektive. Die Beschreibung ist in der Ich-Form subjektiv geprägt. 

Berichtet der Erzähler in der dritten Person (Er-Form) von den Ereignissen, strahlt er mehr Distanz und Objektivität aus. Der Erzähler hat jederzeit die Möglichkeit, den Text zu kommentieren.

Erzählverhalten und Erzählsituation

Der Erzähler hat verschiedene Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen und Position dazu zu beziehen. Man unterscheidet bei der Textanalyse zwischen auktorial, personal und neutral

Das auktoriale Erzählverhalten oder die auktoriale Erzählsituation

Mann mit Drohne
© Pixabay, Lukas Bieri

Bei einem allwissenden Erzähler, bezeichnet man das Erzählverhalten und die Erzählsituation als auktorial. Ein auktorialer Erzähler weiß über alles Bescheid, was in der erzählten Welt passiert. Er kennt die Gefühle jeder einzelnen Figur und weiß, was sie in verschiedenen Momenten denken.

Merke: Der auktoriale Erzähler ist allwissend. Er sieht alles und kennt die Gefühle jeder Figur.

Das personale Erzählverhalten oder die personale Erzählsituation

Smartphone Kamera Aufnahme
© Pixabay Pexels

Eine personale Erzählsituation erkennt man daran, dass sich der Erzähler im Hintergrund verbirgt. Er übernimmt die Perspektive einer Figur und erzählt aus deren Sicht. Er ist nicht auf die Ich-Form angewiesen, sondern kann die Er-Form für sich nutzen.

Merke: Beim personalen Erzählverhalten schildert der Erzähler die Erlebnisse aus Sicht einer Figur.

Das neutrale Erzählverhalten oder die neutrale Erzählsituation

Blick durch die Kamera-Linse
© Pixabay, Jonas Svidras

Das neutrale Erzählverhalten erkennt man daran, dass sich der Erzähler unsichtbar macht. Er beobachtet das Geschehen und erzählt davon, ohne seine Meinung zu äußern.

Im Vergleich zum auktorialen Erzähler bleiben dem/der Leser*in bei einer neutralen Erzählsituation die Gefühle der Figuren verborgen. Solche Texte weisen eine eindeutige Distanz zwischen Erzähler und Erzählung auf.

Merke: Die neutrale Erzählsituation zeichnet sich durch eine reine Erzählung der Geschehnisse ohne Wertung und Kommentare aus.

Welche Erzähler gibt es in einer Ich-Erzählung?

Bei der Ich-Erzählung kann es sich um einen auktorialen, personalen oder neutralen Erzähler handeln. Dies erkennt man daran, inwieweit der Erzähler in das Geschehen der Welt miteinbezogen ist.

Die Erzählperspektive: eine Frage des Blickwinkels

Die Erzählperspektiven sind von diversen Faktoren abhängig. Um sie näher bestimmen zu können, müssen folgende Fragen geklärt werden:

  • Wie weit ist der Erzähler räumlich sowie zeitlich vom Geschehen entfernt?
  • Wie groß ist sein Überblick?
  • Oder allgemeiner gefragt: Wie ist seine Perspektive auf die Geschichte?

Man unterscheidet bei der Erzählperspektive zwischen einer Betrachtung von außen und von innen.

Eine Betrachtung von außen

Der Erzähler beschreibt das, was äußerlich sichtbar ist. Er befindet sich außerhalb der Erlebten und bezieht sich auf die Außensicht. Die Erzählerperspektive ist distanziert.

Die Betrachtung von innen

Wenn der Erzähler in das Innere der Figur blicken kann, spricht man von der Innensicht. Er weiß, was die Protagonisten und Protagonistinnen denken und fühlen und erzählt aus dieser Perspektive. 

Die Art und Weise des Erzählens

Der Erzähler kann die Sprache in der Literatur unterschiedlich gestalten. Man unterscheidet zwischen Erzählerbericht und Figuren- bzw. Gedankenrede.

Der Bericht des Erzählers

Zu dem Erzählerbericht zählen alle Bemerkungen des Erzählers. Davon ausgeschlossen sind die Äußerungen der Figuren. Hier unterscheidet man die zeitliche und zeitlose Erzählweise.

  • Die zeitliche Erzählweise dokumentiert die Handlung nach ihrem Ablauf.
  • Die zeitlose Erzählweise fasst alle Beschreibungen von Protagonisten und Protagonistinnen sowie den Handlungsorten zusammen, die unabhängig vom zeitlichen Ablauf der Geschichte sind.

Die Figuren- und Gedankenrede

Die direkte Rede führt das Gesagte unverändert an. Bei der indirekte Rede zitiert der Erzähler im Text die Figur in der 3. Person und im Konjunktiv. 

Zwischen der direkten und indirekten Rede lässt sich die erlebte Rede einordnen. Die Leserinnen und Leser erfahren, was die Figur denkt, ohne dass es durch einen zusätzlichen Redebegleitsatz wie „sie dachte” angezeigt wird. Charakterisierend für die erlebte Rede sind 3. Person, das Präteritum und personenspezifische Redeweisen und Ausrufe (wie zum Beispiel „Alter!”). 

Eine weitere Variante der Figurenrede stellt der innere Monolog dar. Das Erlebnis und die Empfindungen werden von der Figur direkt in der Ich-Form und im Präsens wiedergegeben. Es wird im Englischen als Stream of Consciousness gesprochen und bezeichnet einen starken assoziativen Bewusstseinsstrom.

Beispiele aus der Literatur

Effi Briest von Theodor Fontane

In Effi Briest hat Theodor Fontane einen auktorialen Erzähler erschaffen, der den Überblick über die erzählte Welt besitzt. An seiner Art zu berichten, erkennt man, dass er mit der Hauptprotagonistin Effi sympathisiert.

Der Erzähler arbeitet mit Raffungen und Zeitsprüngen, um die äußere Handlung der Geschichte zu beschreiben. Durch das Reflektieren der Handlung und dem Schildern von inneren Empfindungen der Figuren beweist er seine Allwissenheit. Dies wird durch die Beschreibungen der Figuren und Orte ergänzt.

Durch Kommentare und Zusatzinformationen lenkt der auktoriale Erzähler den*die Leser*in, wobei teilweise das personale Erzählverhalten Verwendung findet. 

Der Proceß von Franz Kafka

Der Roman Der Proceß von Franz Kafka weist eine ausgeprägte personale Erzählweise auf. Aus diesem Grund wird es als einsinniges Erzählen bezeichnet. Die Erzählperspektive des Hauptprotagonisten Josef K. steht im Mittelpunkt. Der Effekt ist, dass die Isolation der Hauptfigur verstärkt vermittelt und die Distanz zu den restlichen Figuren vergrößert wird.

Kafka setzt verschiedene erzählerische Mittel wie Erzählerbericht, erlebte Rede, innerer Monolog und szenisches Erzählen ein. Mit dem inneren Monolog wird das Innenleben von Josef K. direkt wiedergegeben, während sich der Erzähler zurücknimmt. Diese Art der Figurenrede setzt der Autor gezielt ein. Die erlebte Rede gibt Einblicke in die Gedanken und Gefühle des Protagonisten. Der Erzählerbericht liefert die Informationen zu den äußeren Begebenheiten und Abläufen.

Des Weiteren setzt Franz Kafka direkte und indirekte Rede ein, wobei das szenische Erzählen mehr Aufschluss über das Befinden der anderen Protagonisten gibt. Die beschriebene Mimik, Gestik und die Bewegungen der einzelnen Figuren enthalten wichtige Informationen über Meinungen, Zusammenhänge und Empfindungen für die Leser.

Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff

In der Erzählung Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff agiert ein Ich-Erzähler, der zeitgleich die Figur des Taugenichts darstellt. Die Perspektive des Ich-Erzählers auf die Welt beschränkt sich auf die personale Sicht des Hauptprotagonisten. Somit bedingt sich die Sichtweise, welche der*die Leser*in vom Geschehen hat.

Ziel des Autors scheint es zu sein, dass sich die Leserschaft mit der Figur leichter identifizieren und mitfühlen kann. Die Wahrnehmung eines romantischen Optimisten und Enthusiasten wird durch die Art der Erzählung in den Vordergrund gerückt.  

Tipps für die Praxis

Bei einer Textanalyse in einer Deutsch-Klausur ist es wichtig, alle Punkte durchzugehen:

  • Versuche zunächst zu erkennen, um welche Erzählform es sich handelt (er oder ich?).
  • Konzentriere dich dann auf das Erzählverhalten bzw. die Erzählsituation.
  • Analysiere die Erzählperspektive und die Art der der Darbietung. Nutzt der*die Autor*in Erzählbericht und Figuren- sowie Gedankenrede, um den Erzähler berichten zu lassen?

Alles, was du über den Erzähler wissen musst, findest du kurz und knackig in unserem Buchtipp: Deutsch Auf einen Blick! Literarische Gattungen. Epik. Dramatik. Lyrik.

¹ Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit des Textes haben wir im Text ausschließlich die männliche Form von Erzähler verwendet, möchten jedoch mit dem Begriff alle weiblichen Erzählerinnen mit einschließen.

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