Mann, 41 Jahre, ersticht Geliebte aus Eifersucht. Eine Schlagzeile wie diese erregte 1821 nicht nur die Aufmerksamkeit der Leipziger Zeitungsleser. Der Fall beschäftigte Jahre später auch den 23-jährigen Mediziner und Naturwissenschaftler Georg Büchner. Dieser dramatisiert den historischen Vorfall und schreibt mit dem 1836/37 verfassten Stück „Woyzeck“ Theatergeschichte. Das gelang ihm, indem er einen einfachen Soldaten, aus damaliger Sicht ein Vertreter der unteren Gesellschaftsschicht, zum Protagonisten seines sozialen Dramas machte.
Woyzeck – Zusammenfassung
Das Stück beleuchtet in einer Anzahl von szenischen Bildern das Leben des Soldaten Franz Woyzeck in einer hessischen Stadt. Woyzeck, ein armer und unter Wahnvorstellungen leidender Mann, lebt mit der schönen Marie zusammen, die ein Kind von ihm hat.
Um zusätzlich Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, stellt sich Woyzeck dem Militärarzt für medizinische Experimente zur Verfügung und lässt entwürdigende Behandlungsweisen über sich ergehen. Er wird missachtet und verspottet. Zeichen körperlicher und psychischer Zerstörung zeigen sich an ihm.
Das Drama nimmt seinen Lauf, als er von dem Verhältnis seiner Geliebten Marie mit einem sozial höher gestellten Tambourmajor erfährt. Ihm wird klar, dass er unmöglich etwas dagegen ausrichten kann. Er sieht nur einen Ausweg: Marie zu töten.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang ersticht er sie. Als man Blut an seiner Hand erkennt, läuft er verwirrt zu einem Teich in der Nähe des Tatorts. Dort wirft er das Tatwerkzeug hinein. Das Ende bleibt offen.
Woyzeck – Inhalt der Szenen im Überblick
Das Drama Woyzeck liegt als Fragment vor, denn aufgrund seines frühen Todes konnte Büchner sein Theaterstück nicht vollenden. Der Text muss daher aus vier Entwurfsstufen rekonstruiert werden. Die folgende Szenenübersicht folgt der Lesefassung von Werner R. Lehmann.
SZENE | SCHAUPLATZ / FIGUREN | HANDLUNG |
---|---|---|
1 | Freies Feld, die Stadt in der Ferne | Beim Schneiden von Weidenstöcken mit seinem Kameraden Andres überkommen Woyzeck Halluzinationen vom Weltuntergang und von Verschwörungen. |
2 | Die Stadt | Als ein Spielmannszug am Haus vorbeizieht, fällt Marie der schneidige Tambourmajor ins Auge. Kurz darauf klopft Woyzeck ans Fenster. Für dessen unzusammenhängende Andeutungen hat Marie kein Verständnis. |
3 | Buden, Lichter, Volk | Marie und Woyzeck hören einem Marktschreier zu, der Kuriositäten anpreist. Der Tambourmajor sieht Marie und folgt ihr. |
4 | Maries Kammer | Im Spiegel betrachtet Marie die Ohrringe, die ihr der Tambourmajor geschenkt hat. Woyzeck unterdrückt sein Misstrauen, als er diese beim Betreten der Kammer bemerkt. |
5 | Beim Hauptmann | Woyzeck rasiert den Hauptmann, der ihm ein gehetztes Wesen und Tugendlosigkeit vorwirft. Vor seinem Vorgesetzten rechtfertigt er sich dafür, ein uneheliches Kind zu haben. |
6 | Maries Kammer | Marie bewundert den Tambourmajor und gibt dessen Werben nach anfänglichem Zögern nach. |
7 | Auf der Gasse | Woyzeck ahnt, dass Marie ihm untreu geworden ist, und stellt sie zur Rede. Er erhält jedoch keine Gewissheit. |
8 | Beim Doktor | Für den Doktor ist Woyzeck ein Versuchsobjekt. Über eine fehlende Urinprobe ist der Mediziner zunächst ungehalten. Als Woyzeck einen verwirrten Eindruck macht, ist der Doktor jedoch begeistert, weil er eine Abnormität entdeckt, die er erforschen will. |
9 | Straße | Hauptmann und Doktor begegnen sich und machen abfällige Bemerkungen übereinander. Als Woyzeck dazu stößt, verbünden sie sich gegen den Soldaten und erniedrigen ihn mit Andeutungen über Maries Untreue. |
10 | Die Wachtstube | Ein Tanzvergnügen, das bis in die Wachtstube zu hören ist, erweckt den Argwohn Woyzecks. Er verlässt den Raum fluchtartig. |
11 | Wirtshaus | Woyzeck sieht, wie Marie und der Tambourmajor vergnügt miteinander tanzen. |
12 | Freies Feld | Eine innere Stimme befiehlt Woyzeck, Marie zu erstechen. |
13 | Nacht | Andres will von Woyzecks Klagen über eine innere Stimme, die ihm befiehlt zuzustechen, nichts wissen. |
14 | Wirtshaus | Beim Aufeinandertreffen von Tambourmajor und Woyzeck unterliegt Letzterer im Zweikampf. |
15 | Kramladen | Bei einem jüdischen Händler besorgt sich Woyzeck ein Messer. |
16 | Kammer | Die von Schuldgefühlen geplagte Marie sucht Trost in der Bibel. |
17 | Kaserne | Woyzeck vermacht Andres seine Habseligkeiten. Sein Freund glaubt, Woyzeck spreche im Fieber. |
18 | Der Hof des Doktors | Der Doktor missbraucht Woyzeck als Anschauungsobjekt und behandelt ihn wie ein Tier. |
19 | Marie mit dem Mädchen vor der Haustür. Straße | Marie sitzt mit mehreren Kindern vor dem Haus, während die Großmutter ein grausames Märchen erzählt. Als Woyzeck hinzukommt, fordert er sie auf, mit ihm zu gehen. |
20 | Abend. Die Stadt in der Ferne | Zögernd folgt Marie Woyzeck. Dieser sticht nach einer kurzen Unterhaltung so lange auf sie ein, bis sie leblos am Boden liegt. Er lässt das Messer fallen und läuft davon. |
21 | Es kommen Leute | Zwei Ohrenzeugen nähern sich dem Tatort. |
22 | Das Wirtshaus | Woyzeck sucht beim Tanz im Wirtshaus nach Ablenkung. Als Blutspuren an ihm bemerkt werden, flüchtet er. |
23 | Abend. Die Stadt in der Ferne | Um Indizien zu beseitigen, kehrt Woyzeck zum Tatort zurück. |
24 | Woyzeck an einem Teich | Das fallengelassene Messer wirft Woyzeck in den Teich und wäscht sich im Wasser das Blut ab. |
25 | Straße | Kinder, die vom Auffinden einer Leiche hören, wollen zum Tatort laufen. |
26 | Gerichtsdiener, Arzt und Richter | Beim Anblick der Leiche konstatieren die Strafverfolger, es handle sich um einen guten Mord. |
27 | Karl, Woyzeck und das Kind | Als Woyzeck zu seinem kleinen Sohn Christian zurückkehrt, wendet sich dieser von ihm ab. Karl nimmt das Kind mit sich, um ihm ein Gebäck zu kaufen. |
Woyzeck – Historische Bezüge
Den Stoff zu seiner Sozialtragödie fand der Arztsohn Georg Büchner in der Erlanger „Zeitschrift für die Staatsarzneikunde“, an der sein Vater mitarbeitete. In diesem medizinischen Fachblatt hatte der Königlich-Sächsische Hofrat Prof. Dr. Clarus seine beiden Gutachten über den Kriminalfall des Perückenmachers Johann Christian Woyzeck veröffentlicht.
Der 41-jährige arbeits- und obdachlose Handwerkergeselle erstach am 21. Juni 1821 in Leipzig seine Geliebte, die 46 Jahre alte Witwe Johanna Christiane Woost. Nachdem der Täter im Herbst desselben Jahres zum Tode verurteilt worden war, wurde das Verfahren erneut aufgenommen. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob der Mörder zur Tatzeit zurechnungsfähig war. Woyzeck, der vermutlich aus Eifersucht gehandelt hatte, hatte seit längerem unter Depressionen, Halluzinationen und Verfolgungswahn gelitten.
Weil der Gerichtsarzt Clarus eine Schuldminderung ablehnte, kam es zu einer Bestätigung des ursprünglichen Urteils. In dessen Folge wurde Woyzeck am 27. August 1824 auf dem Leipziger Marktplatz vor etwa 5000 Zuschauern öffentlich enthauptet.
Georg Büchner ging es bei dem Theaterstück Woyzeck nicht um die Dokumentation eines historischen Vorfalls auf der Bühne. Zwar beließ er seiner Hauptfigur den Namen, veränderte jedoch im Stück die Lebensumstände. Büchners Woyzeck hat mit seiner Geliebten ein Kind und kann sich durch eine feste Anstellung beim Militär und Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten.
Im Vergleich zur historischen Vorlage spielt zwar auch das Motiv der Eifersucht eine entscheidende Rolle für den Gang der Handlung. Bei der Dramatisierung des Stoffs kam es Büchner aber vor allem darauf an, die Handlungsweisen der Figuren aus ihrem jeweiligen sozialen Umfeld heraus zu erklären. Nicht nur Woyzeck wird schuldig, auch eine unmenschliche Gesellschaft ist mitverantwortlich für den tragischen Ausgang des Geschehens.
Die Interpretation von Georg Büchner -WoyzeckSTARK erklärt: Woyzeck - Die Handlung in 3,5 Minuten
Welche Konzeption liegt dem Drama zugrunde?
Büchner übernahm viele Einzelheiten der Dramentechnik des Sturm-und-Drang-Theaters: Die rasche Szenenfolge gehört ebenso dazu wie die häufige Veränderung des Schauplatzes.
Statt fünf regelmäßig eingeteilten Akten setzt sich die Handlung aus in sich geschlossenen Einzelszenen zusammen. Diese werden durch bestimmte Motive (Ausbeutung, Abhängigkeit, Wahnsinn, Eitelkeit usw.) und metaphorische Vorausdeutungen („Kann die Todsünde so schön sein?“ – „Was der Mond rot aufgeht. Wie ein blutig Eisen.“) zusammengehalten.
Die vielen in die Handlung eingestreuten Volkslieder, Märchen, Rätsel, Zählreime und Bibelzitate veranschaulichen das soziale Milieu der Unterschicht. Woyzeck und Marie beherrschen durch ihre Anwesenheit die einzelnen Szenen,
auch wenn sie nur als Opfer dargestellt werden. Im ständigen Wechsel werden die Erlebniswelt Woyzecks und die seiner Geliebten vorgeführt. Woyzeck steht jedoch zu Beginn wie am Ende als gesellschaftlich isolierter Einzelgänger da.
Die wichtigste Neuerung gegenüber der Theatertradition besteht darin, dass Büchner in seinem Drama die Ständeklausel aufgehoben und in einer Tragödie einen einfachen Menschen des unteren Standes, der zuvor nur in einem Lustspiel hätte auftreten dürfen, zu seinem Helden gemacht hat.
Hauptmann und Doktor tragen keine individuellen Namen, sondern werden mit ihren Berufsbezeichnungen genannt. Somit können sie als Repräsentanten der institutionalisierten Mächte Militär und Wissenschaft gelten. Beide Figuren treten zwar für Moral und Freiheit ein, aber sie entlarven sich durch ihr unmenschliches Verhalten gegenüber Woyzeck als Unterdrücker und Ausbeuter. Stellenweise zeigt ihr Verhalten karikaturhafte Züge, wodurch Georg Büchner ihre Selbstgefälligkeit bloßstellt.
Diese Figurenkonstellation zeigt, wie das soziale Gefüge die Handlungsmöglichkeiten Woyzecks bestimmt:
Welche Gesellschaftskritik liegt in der Rasierszene?
Woyzeck rasiert in der Szene (5. Szene in der Lesefassung) den Hauptmann, um auf diese Weise einen Nebenverdienst zu erhalten. Die Szene ist eine der längsten im gesamten Drama. Der erste Teil der Unterhaltung gleicht einem Selbstgespräch des Hauptmanns, in dem er seine diffusen Klagen über Zeitverschwendung, Woyzecks Unruhe und das Wetter vorbringt. Die mechanischen und formelhaften Antworten Woyzecks verdeutlichen, dass er die Rolle des Untergebenen innehat.
Dies ändert sich im zweiten Teil des Gesprächs. Woyzeck gibt seine passive Gesprächshaltung auf, als ihm vorgeworfen wird, unmoralisch zu sein, da er ein uneheliches Kind hat. Zu seiner Verteidigung beruft sich Woyzeck auf die Botschaft Jesu, verweist auf eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten derjenigen, die arm sind, und betont die Abhängigkeit moralischen Verhaltens von materiellen Bedingungen.
Der Hauptmann reagiert zunächst irritiert, beharrt jedoch auf seinem Vorwurf („Woyzeck, Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch“). Schließlich kehrt er zu seiner um sich selbst kreisenden Sprechhaltung zurück („Ich sag mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch […]“). Dass die Redeanteile der Gesprächspartner in diesem Teil der Unterhaltung ausgeglichener sind, ist auf die wechselnden Gesprächsrollen zurückzuführen. Woyzeck argumentiert, der Hauptmann reagiert.
Letztlich geht dem Hauptmann darum, sich selbst zu bemitleiden und seinen übergeordneten sozialen Status herauszustellen, auch wenn er vorgibt, sich mit Woyzeck ernsthaft unterhalten zu wollen. Die Szene zeigt die völlige Verständnislosigkeit der herrschenden Schicht für die Lage derer, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen.
Interpretationen Deutsch | Georg Büchner: Woyzeck
Dieser Band unterstützt bei der Lektüre des Dramas und vertieft das Verständnis des Stücks. Damit ermöglicht die Interpretationshilfe eine optimale Vorbereitung auf Unterricht und Klausuren.
Der Band enthält:
- Hintergrundinformationen zu Biografie, Entstehungsgeschichte und Quellen
- eine ausführliche Inhaltsangabe
- eine systematische Interpretation des Dramas unter folgenden Gesichtspunkten: Charakterisierung der Figuren,
- Sprache und Form, Vorausdeutungen und zentrale Motive
- zusammenfassende Schaubilder zur Wiederholung wichtiger Aspekte
- Interpretation von Schlüsselstellen, die in Klausuren oder im Abitur vorkommen könnten
- Videos zur Analyse von Dramentexten
- Online-Glossar zu literarischen Fachbegriffen