Die Nachkriegsliteratur bezeichnet die Literatur, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 entstand. Dieser Zeitraum war geprägt von tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen und dem Versuch, die Schrecken des Krieges zu verarbeiten. Die Nachkriegsliteratur bietet einen wichtigen Einblick in die Geschichte und die kulturellen Entwicklungen jener Zeit. Doch die deutsche Literaturgeschichte hat sich auch nach der unmittelbaren Nachkriegszeit weiterentwickelt. In diesem Beitrag gehen wir auf die Literatur nach 1945 und auf die literarischen Entwicklungen von den 1960er Jahren bis heute ein.
Nachkriegsliteratur – Die deutsche Literatur nach 1945
Der Krieg hinterließ Zerstörung, Schmerz und Trauer. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 war nichts mehr so, wie es einmal war. Deutschland war kollabiert. Aus diesem Grund wird die Zeit danach als Stunde Null bezeichnet: Der Neuanfang mit Nichts. Wirtschaft, Politik, Kultur – das komplette Land musste neu aufgebaut werden.
Zeitraum der Nachkriegsliteratur
Die Nachkriegsliteratur umfasst grob die Jahre von 1945 bis etwa 1960. In dieser Zeit stand Europa vor der Herausforderung, sich von den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs zu erholen. In Deutschland spricht man auch von der „Trümmerliteratur“, da viele Werke das Bild von zerstörten Städten und das Leben in den Trümmern thematisieren. Autoren wie Wolfgang Borchert verarbeiteten in ihren Texten die grausamen Erlebnisse des Krieges und die erfahrene Not.
Merkmale der Nachkriegsliteratur
Die Nachkriegsliteratur zeichnet sich durch folgende zentrale Merkmale aus:
- Realismus und Authentizität: Viele Autoren bemühten sich um eine realistische und ungeschönte Darstellung der Kriegs- und Nachkriegszeit. Sie wollten die Wahrheit über die Erlebnisse und Erfahrungen jener Jahre festhalten.
- Thematisierung von Schuld und Verantwortung: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und der Verantwortung für die Kriegsverbrechen war ein häufiges Thema.
- Existenzielle Fragen: Die existenzielle Not und die Frage nach dem Sinn des Lebens standen oft im Mittelpunkt der Werke.
- Karge Sprache: Die Sprache war häufig knapp und sachlich, was die Härte und Kargheit der beschriebenen Realität unterstrich.
Formen und Gattungen der Nachkriegsliteratur
Die Nachkriegsliteratur manifestierte sich in verschiedenen literarischen Formen und Gattungen. Neben Romanen und Gedichten spielten auch Kurzgeschichten und Theaterstücke eine wichtige Rolle.
- Roman: Romane dieser Zeit thematisierten oft die Verarbeitung des Krieges, die Schuldfrage und die Suche nach einer neuen Identität in einer zerstörten Welt. Autoren wie Heinrich Böll und Günter Grass setzten sich in ihren Romanen intensiv mit diesen Themen auseinander.
- Gedicht: Lyrik war ebenfalls ein bedeutendes Medium, um die tiefen emotionalen und existenziellen Erfahrungen dieser Zeit auszudrücken. Dichter wie Paul Celan schufen bewegende Werke, die das Grauen des Krieges und die Trauer über den Verlust reflektierten. In Deutschland stritten die Lyriker darüber, ob es nach dem Holocaust eine Nachkriegslyrik geben dürfe. Adorno lehnte das zum Beispiel bewusst ab. Es entstand hermetische Lyrik, die mit seltsamen, verdichteten Bildern sprach, und die Konkrete Poesie. Dichterinnen und Dichter der Konkreten Poesie experimentierten mit der Sprache.
- Theaterstück: Das Theater bot eine Plattform für die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit. Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ ist ein herausragendes Beispiel für die Darstellung der Kriegsheimkehrer und ihrer inneren Zerrissenheit.
- Kurzgeschichte: Eine besonders wichtige Gattung der Nachkriegsliteratur ist die Kurzgeschichte. Das Papier war knapp und die Form entsprach dem Ideal der Nüchternheit. Sie eignete sich hervorragend, um die fragmentierten und oft traumatischen Erlebnisse der Menschen in einer kompakten und prägnanten Form zu schildern. Autoren wie Wolfgang Borchert und Heinrich Böll nutzten dieses Format, um intensive und eindringliche Bilder zu schaffen.
- Hörspiel: In der Nachkriegszeit erlebte das Hörspiel eine Renaissance. Durch die Zerstörung vieler Theater und die eingeschränkte Möglichkeit des Druckens und Verteilens von Büchern wurde das Radio zu einem wichtigen Medium.
Das Hörspiel in der Nachkriegszeit
Das Hörspiel gewann in der Nachkriegszeit wieder an Bedeutung, da das Radio als Medium eine große Reichweite hatte und somit vielen Menschen zugänglich war. Autoren nutzten das Hörspiel, um ihre literarischen Botschaften zu verbreiten. Sie erreichten durch das Medium die Menschen, die durch den Krieg traumatisiert und auf der Suche nach neuen Erzählformen waren.
- Wolfgang Borchert: Er war nicht nur für seine Kurzgeschichten bekannt, sondern verfasste auch bedeutende Hörspiele wie „Draußen vor der Tür“, das ursprünglich als Hörspiel konzipiert war, bevor es als Theaterstück aufgeführt wurde.
- Günter Eich: Einer der bekanntesten Hörspielautoren der Nachkriegszeit. Sein Werk „Träume“ gehört zu den bedeutendsten Hörspielen dieser Epoche und thematisiert die inneren Ängste und Hoffnungen der Menschen nach dem Krieg.
- Ingeborg Bachmann: Sie schrieb ebenfalls Hörspiele, darunter „Der gute Gott von Manhattan“, das zu den Klassikern der deutschsprachigen Hörspielkunst zählt.
Wichtige Autoren und Werke
Einige bedeutende Autoren und Werke der Nachkriegsliteratur sind:
- Heinrich Böll: Einer der bekanntesten deutschen Autoren dieser Zeit. Seine Werke wie „Wo warst du, Adam?“ und „Der Engel schwieg“ beschäftigen sich mit den Nachwirkungen des Krieges und der Suche nach Menschlichkeit in einer zerstörten Welt.
- Günter Grass: Sein bekanntestes Werk, „Die Blechtrommel“, erzählt die Geschichte des Jungen Oskar Matzerath, der sich weigert, zu wachsen, und so die Ereignisse des Krieges und der Nachkriegszeit aus der Perspektive eines Kindes schildert.
- Wolfgang Borchert: Sein Theaterstück „Draußen vor der Tür“ und seine Kurzgeschichtensammlung „An diesem Dienstag“ thematisieren die Heimkehr und das Leben der Kriegsveteranen in einer veränderten Gesellschaft.
Die Gruppe 47
Ein besonderes Phänomen der Nachkriegsliteratur war die Gruppe 47, eine einflussreiche Vereinigung von Autoren und Kritikern, die sich erstmals 1947 traf. Gegründet wurde die Gruppe 47 von Hans Werner Richter und Alfred Andersch. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der Wiederbelebung der deutschen Literatur nach dem Krieg. Zu den wichtigsten Zielen der Gruppe gehörte die Förderung junger Talente und die Etablierung einer neuen, authentischen Literatur.
Mitglieder der Gruppe 47 waren unter anderem:
- Ingeborg Bachmann: Eine bedeutende Lyrikerin und Erzählerin, die für ihre poetische Sprache und ihre Auseinandersetzung mit existenziellen Themen bekannt ist.
- Paul Celan: Berühmter Dichter, dessen Werke oft die Schrecken des Holocaust und die Trauer über die verlorene Menschlichkeit thematisieren.
- Hans Werner Richter: Gründer der Gruppe 47 und selbst ein wichtiger Autor, der die literarischen Diskussionen maßgeblich prägte.
Die Treffen der Gruppe 47, die bis 1967 stattfanden, waren bekannt für ihre offenen und oft kritischen Diskussionen über die vorgestellten Texte. Viele der bekanntesten Autoren der Nachkriegsliteratur, darunter Heinrich Böll und Günter Grass, profitierten von der Unterstützung und dem Austausch innerhalb dieser Gruppe.
Literatur in den 1960er-Jahren: Der Wandel
Mit den 1960er Jahren begann eine neue Phase in der deutschen Literatur. Diese Zeit war geprägt vom politischen und gesellschaftlichen Wandel, der auch in der Literatur Ausdruck fand. Wiederaufbau unter Konrad Adenauer, Konsumboom, Rezession, Berliner Mauer, Kuba-Krise, Vietnamkrieg und die 68er-Bewegung waren die beherrschenden Themen der Zeit. In all diesem Trubel versuchten die Menschen den Zweiten Weltkrieg zu vergessen – anstatt ihn aufzuarbeiten.
- Die Gruppe 61: In den 1960er Jahren entstand die Gruppe 61, die sich mit der sozialen Realität und der Arbeitswelt auseinandersetzte. Die Autoren der Gruppe 61, darunter Max von der Grün und Günter Wallraff, setzten sich kritisch mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auseinander.
- Politische Literatur: Die 1960er und 1970er Jahre waren auch die Zeit der politisch engagierten Literatur. Schriftsteller wie Peter Weiss und Rolf Hochhuth nutzten ihre Werke, um politische und gesellschaftliche Missstände anzuprangern und das aktuelle Geschehen und die Gesellschaft zu hinterfragen. Dafür sollte die Literatur jedoch verständlicher werden. Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller der 60er Jahre waren daher hin- und hergerissen zwischen Ästhetik und Annäherung an die Alltagssprache.
Die literarischen Gattungen in den 1960er-Jahren
Die Lyriker knüpften mit neuem Engagement an die Vergangenheit an. Viele kehrten zur Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre zurück. Die Autorinnen und Autoren ironisierten traditionelle Formen, entlarvten Wortspiele und näherten sich der Prosa an. Die Gedichte wurden länger – es wird auch von der Entlyrisierung der Lyrik gesprochen. Protestsongs wie von Wolfgang Biermann etablierten sich als wichtiges Sprachrohr.
Die Epik setzt sich wie das Drama kritisch mit der Gesellschaft auseinander. Die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Schuldfrage, politische Gegebenheiten und Arbeitsbedingungen standen im Vordergrund. Dazu kamen die Entstehung der Bundesrepublik und der neue Wohlstand. Es wird vom zeitkritischen Roman gesprochen.
Für das Theater schrieben die Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum Beispiel Dokumentardramen. In der Epik nahmen unter anderem Günter Grass und Heinrich Böll wichtige Rollen ein.
Literatur in den 1970er und 1980er Jahren: Neue Subjektivität
In der folgenden Zeit lösten neue Themen die Nachkriegsliteratur endgültig ab. Nach den öffentlichen Unruhen 1968 und den terroristischen Aktionen der Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) beruhigte sich mit der Ostpolitik von Willy Brandt die Lage. Die Ölkrise von 1973, das Waldsterben und die nukleare Katastrophe von Tschernobyl machten ein neues Problem bewusst. Die Ökologie wurde fester Bestandteil der Politik. Die Partei Die Grünen gründete sich 1980. Zudem entstand die Frauenbewegung, die sich für eine weiterführende Emanzipation einsetzte.
Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den 1970er Jahren eine Bewegung, die als Neue Subjektivität bezeichnet wird. Im Gegensatz zur politisch engagierten Literatur der vorangegangenen Jahrzehnte richteten sich die Autorinnen und Autoren der Neuen Subjektivität stärker auf das individuelle Erleben und persönliche Gefühle. Diese Literaturform betonte das Subjektive, das Private und die inneren Erfahrungen. Beziehungsprobleme, Leistungsdruck, Karriere sowie Beschleunigung stehen ab diesen Jahrzehnten im Vordergrund. Die Autobiographie wird wichtiges Ausdrucksmittel.
- Autoren der Neuen Subjektivität: Bekannte Vertreter dieser Strömung sind Peter Handke, der in Werken wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ persönliche Erfahrungen und subjektive Wahrnehmungen in den Vordergrund stellt, und Max Frisch, dessen Romane wie „Montauk“ autobiografische Elemente enthalten.
- Thematische Schwerpunkte: Themen wie Identität, Selbstfindung und persönliche Krisen rückten in den Mittelpunkt der literarischen Werke.
Literatur seit den 1990er Jahren bis heute
Seit den 1990er Jahren hat sich die deutsche Literatur weiter diversifiziert. Autorinnen und Autoren beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Themen, die von der Wiedervereinigung Deutschlands bis hin zu globalen und interkulturellen Fragen reichen.
- Wiedervereinigung: Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ist ein zentrales Thema in der Literatur dieser Zeit. Autoren wie Uwe Tellkamp mit seinem Roman „Der Turm“ beleuchten die gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen in den Jahren nach der Wiedervereinigung.
- Globalisierung und Migration: Zeitgenössische Autoren wie Herta Müller und Terézia Mora setzen sich mit den Auswirkungen der Globalisierung und den Erfahrungen von Migranten auseinander.
Zusammenfassung und Fazit
Die Nachkriegsliteratur bietet einen tiefen Einblick in die menschlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Werke der Literatur nach 1945 spiegeln nicht nur die Schrecken und die Zerstörung wider, sondern auch den Mut und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Mit der Gruppe 47 entstand eine bedeutende Plattform, die maßgeblich zur Erneuerung und Entwicklung der deutschen Literatur beitrug.
Die Literaturgeschichte ab den 1960er Jahren zeigt, wie sich die deutsche Literatur kontinuierlich weiterentwickelt hat, um auf gesellschaftliche und politische Veränderungen zu reagieren. Von der politischen Literatur der 1960er und 1970er Jahre über die Neue Subjektivität bis hin zu den vielfältigen Themen der Gegenwartsliteratur – jede Epoche bietet wertvolle Einblicke in die jeweiligen Herausforderungen und Denkweisen der Zeit.